dimarts, d’octubre 30, 2012

Hilferuf – Katalonien fürchtet Einmarsch Madrids (DIE WELT, 25-10-2012)

Katalanische Separatisten klagen über "militärische Drohungen" der Zentralregierung in Madrid. Jetzt soll die EU-Justizkommissarin ihnen helfen – per Brief haben sie Viviane Reding darum gebeten. Von Ute Müller Für die Unabhängigkeit auf die Straße: Ein katalanischer Demonstrant fordert schon Mitte September bei einem Protestzug in Barcelona „Europa, schau nicht weg!“ Foto: dpa Für die Unabhängigkeit auf die Straße: Ein katalanischer Demonstrant fordert schon Mitte September bei einem Protestzug in Barcelona "Europa, schau nicht weg!" Kataloniens Separatisten hatten diese Woche ihren großen Auftritt in Brüssel. In einem Schreiben an Viviane Reding, die Justizkommissarin der Europäischen Union (EU), beklagten sie "militärische Drohungen" und den als aggressiv empfundenen Tonfall der Madrider Zentralregierung. Die Autoren, die Generalsekretärin der sozialistischen Fraktion im EU-Parlament Maria Badia, ein katalanischer Nationalist und zwei Grüne hatten damit auf das Säbelrasseln des spanischen Militärverbandes reagiert. Dessen Vorsitzender Leopoldo Muñoz Sánchez hatte unumwunden die Ausrufung des Kriegsrechts gefordert, falls die Katalanen aus dem spanischen Staat ausscheren. Sekundiert wurde Muñoz vom Vizepräsidenten des EU-Parlaments Alejo-Vidal Quadras. Sollte sich der Regierungschef von Katalonien über die Verfassung hinwegsetzen, hätte die Zentralregierung in Madrid "sehr zu ihrem Bedauern" keine andere Wahl, als die territoriale Integrität zu garantieren. Das seien die Argumente vergangener faschistischer Epochen, befanden die vier Parlamentarier aus Katalonien und schalteten die EU ein. Der Konflikt müsse mit friedlichen und demokratischen Mitteln gelöst werden, hieß es weiter, dafür sei niemand besser geeignet als die EU, die gerade den Friedensnobelpreis erhalten hatte. Aufregung in Madrid Auf der Iberischen Halbinsel schlug das Schreiben ein wie eine Bombe. Es wurde just am Mittwochabend veröffentlicht, als halb Spanien das Duell zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund verfolgte. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Sozialisten schon Konsequenzen gezogen und ihr Parteimitglied Badia zum Rücktritt vom Fraktionsvorsitz gezwungen. "Ich glaube immer noch an das, was ich unterzeichnet habe", so Badia. Ihren Sitz im EU-Parlament behält die Politikerin vorerst. Die Debatte um die Unabhängigkeit Kataloniens wird von Tag zu Tag emotionaler geführt, so dass im Ausland vielfach der Eindruck entsteht, Spanien stehe kurz vor dem Bürgerkrieg. Dazu tragen freilich auch Äußerungen wie die des katalanischen Innenministers Felip Puig bei, der schon mal provisorisch verkündet hatte, die katalanische Polizei werde der Landesregierung im Falle einer "Auseinandersetzung mit Madrid" zur Seite stehen. "Das ist ein gefährliches Spiel mit dem Feuer", warnte das konservative spanische Medienhaus Vocento, das die Tageszeitung "ABC" herausgibt. Ähnlich urteilen auch mehrheitlich die anderen Zeitungen des Landes. Stimmungstest für Unabhängigkeit Im Grunde geht es den Katalanen lediglich darum, das Terrain für eine mögliche Unabhängigkeit zu sondieren. Auf diesem Gebiet beweist der amtierende katalanische Ministerpräsident Artur Mas, der vorgezogene Neuwahlen für den 25. November ausgerufen hat, großes Geschick. Der gewiefte Stratege versucht ganz bewusst, den Zwist mit Madrid auf internationale Ebene zu heben, gerade jetzt, wo amtlich wurde, dass Schottland im Herbst 2014 ein Referendum zur Unabhängigkeit von Großbritannien durchführen wird. Das Ergebnis des Urnengangs in Katalonien soll als Gradmesser für die Stärke der Unabhängigkeitsbewegung dienen. Kaum zu glauben, dass die Autonomieverfechter in der bürgerlich-nationalistischen Convergència i Unió (CiU) jahrzehntelang ein treuer und ausgesprochen verlässlicher Bündnispartner der Zentralregierungen in Madrid waren, egal ob gerade Sozialisten oder die Konservativen am Ruder waren. Streit über Steuerautonomie Es war ein handfester Finanzstreit, der für das derzeitige Zerwürfnis zwischen Premier Mariano Rajoy und den Katalanen gesorgt hat. "Wir hatten uns von Madrid viel mehr Verständnis erhofft", so der katalanische Regierungssprecher Francesc Homs in einem Radiointerview am Donnerstag. Katalonien ist mit einem Schuldenberg von 42 Milliarden Euro die höchst verschuldete Region des Landes. Aus Sicht der Katalanen ist dies hauptsächlich auf den Finanztransfer zurückzuführen, mit dem man die strukturschwachen Regionen wie Andalusien oder Extremadura alimentieren müsse. Daher bestand Mas bei einem seiner letzten Treffen mit Rajoy auf einer Steuerautonomie, wie man sie im Baskenland und Navarra kennt. Die Forderung stieß auf taube Ohren. "Mitten in der schweren Wirtschaftskrise ist nicht der geeignete Zeitpunkt, um neue Fronten aufzureißen", so Rajoy. An eine Neuverteilung der Lasten sei derzeit nicht zu denken. Prompt holte Mas die Unabhängigkeitskeule heraus, hatten doch die Krise und Rajos Sparpolitik die antispanische Gesinnung im Osten des Landes in den letzten Monaten erstarken lassen. Anfang September, zum Nationalfeiertag, gingen 1,5 Millionen Katalanen auf die Straße und hissten die Nationalflagge. Noch nie hatten so viele Menschen gleichzeitig für die Unabhängigkeit demonstriert. Einer Erhebung des katalanischen Meinungsforschungsinstituts Centre d’Estudis d’Opinio zufolge ist erstmalig eine knappe Mehrheit, 51,1 Prozent der Bürger, für eine Loslösung von Madrid. König Juan Carlos spricht von "Hirngespinsten" Die Zentralregierung hat derweil mehrmals klar gemacht, dass sie mit allen legalen Mitteln einen Volksentscheid verhindern wird. Sie beruft sich dabei auf die spanische Verfassung, die keine Mechanismen für eine mögliche Abspaltung bereithält. Die meisten Spanier sind der Auffassung, dass Katalonien ein fester Bestandteil des spanischen Staats ist und bleiben soll. Sogar der sonst eher zurückhaltende spanische König Juan Carlos hat die Unabhängigkeitsbestrebungen als "Hirngespinste" bezeichnet. Dennoch wirkt Rajoy, der die Entwicklung als "kolossalen Irrtum" bezeichnet, in seinem Krisenmanagement hilflos, zumal auch im Baskenland der Wunsch nach Selbstbestimmung immer stärker wird. In einem letzten Appell an den Gemeinsinn bat er die Katalanen inständig darum, einzulenken. Der eingeschlagene Weg verstärke nur die Zweifel der internationalen Finanzmärkte an Spanien und brächte den heimischen Familien und den Unternehmen nur noch größeres Elend. Sehr viel härter ging Ex-Premier José María Aznar mit den Separatisten ins Gericht. Sie bedrohten den Staat, indem sie einen angeblichen Konflikt internationalisierten, so der einstige Regierungschef bei einer Preisverleihung in seiner konservativen Stiftung FAES. "Spanien wird nicht zerbrechen", so Aznar. Katalonien hatte vor wenigen Jahren schon einmal den Weg in die Selbstständigkeit versucht und einen Autonomiestatut verabschiedet, mit dem die Rechte der Regionen ausgebaut werden sollten. Eine Reihe der Klauseln, darunter auch der Begriff "Nation" wurden jedoch vom Madrider Verfassungsgericht im Jahr 2010 kassiert. Dabei hat es schon einmal einen katalanischen Staat gegeben, das war 1934, allerdings nur für kurze Zeit. Damals ließ die Regierung in Madrid das Kriegsrecht im selbst ernannten Staat verhängen und seine Regierungsmannschaft, darunter Regierungspräsident Lluis Compays verhaften. Das Abenteuer kostete 46 Menschen das Leben, Companys wurde sechs Jahre später von einem franquistischen Gericht zu Tode verurteilt und hingerichtet.